Seit Donnerstag ist es raus: Google hat mit Google+ sein eigenes Social Network gebaut und die ersten Nutzer bereits reingelassen. Offiziell befindet sich Google+ noch in einer geschlossenen Beta, aber wer bereits registriert ist, kann andere einladen. Dies hat einen regelrechten Kampf um Invites verursacht, sodass diese sogar über Ebay verkauft werden. Warum Google+ so einschlägt, liegt wohl an einer Mischung aus Neugier, Facebook-Überdruss und einem Quäntchen Geltungssucht a la “ich war zuerst da”. ;)

Als Early Adopter und generell zu neugierig, als dass es gut für mich wäre, kam ich selbst gar nicht umhin Google+ selbst zu testen. Derzeit wird es als Facebook-Klller angesehen, wobei es vielleicht sogar andere Netzwerke ersetzen könnte, aber dazu später mehr. Mit Facebook wurde ich, ganz ehrlich, nie sonderlich warm. Überladen, nervtötend (ja, Facebook Apps und Games, ich meine euch!) und nicht gerade benutzerfreundlich – das ist Facebook für mich. Um mit aller Welt in Verbindung zu bleiben, gerade Freunden im Ausland, war es aber das Mittel der Wahl. Es gab bisher einfach keine ernstzunehmende Alternative – entweder waren die Angebote national ausgerichtet (Lokalisten, StudiVZ und die anderen *hust* Klon-Netzwerke) oder sie boten wie zum Beispiel Twitter nicht ausreichende Möglichkeiten.

Vier Tage Google+ und ich kann euch sagen, dass Google hier genau das richtig macht, was an Facebook immer kritisiert wird: Privatssphäre-Einstellungen mit detaillierten Hinweisen, einfache Verwaltung seiner Kontakte in Circles (ähnlich wie Facebook Listen nur viel simpler und besser) und einige andere Innovationen, die euch gleich vorstellen werde.

Google+ im Detail

Das Interface kommt sehr schick und aufgeräumt daher, großes Lob an Andy Hertzfeld, der große Teile zum Design beigetragen hat. Schwarz und weiß dominieren, mit einigen roten und grünen Akzenten. Über die schwarze Leiste am oberen Rand hat man direkten Zugriff auf alle Google Produkte. Mich freut es besonders, dass auch die anderen Google-Produkte dieses Design bekommen, so kann man es z.B. schon für Googlemail und Calender nutzen (Einstellungen->Design). Die Funktionen:

Circles

Per Drag and Drop könnt ihr eure Kontakte In den Circles sortieren; voreingestellt hat Google Acquaintances, Friends, Family und Following. Es lassen sich natürlich beliebig viele selbst anlegen. Diese Circles ermögichen euch das gezielte Teilen von Inhalten und auch euren Stream könnt ihr euch nach Circlen getrennt ansehen.

Hangouts

Googles eigener Videochat, der Skype gefährlich werden könnte. Für Hangouts muss nur ein kleines Plugin installiert werden und schon kann es losgehen. Beim Starten eines Hangouts lässt sich wie überall in Google+ festlegen, mit wem ihr sprechen wollt, das können ein oder mehrere Circles sein oder auch eine bestimmte Person.

Sparks

In Sparks könnt ihr euren Interessen “folgen”. Dabei funktioniert Sparks als eine Art Googlesuche. Grundsätzlich eine gute Idee, aber im Moment sehe ich noch keinen Vorteil zu RSS. Wenn Google in der Zukunft weitere Einstellmöglichkeiten als ein Keyword bietet, dürfte auch diese Funktion sehr interessant werden.

Chat

Selbstverständlich bietet Google+ auch einen regulären Chat. Besonders toll finde ich bei dem, dass man nicht per Default im Chat aktiv ist, sondern selbst wählt, wann man chatten möchte. In Facebook ist es mir oft genug passiert, dass ich angesprochen werden, obwohl ich eigentlich keine Zeit hatte. Die Offline-Funktion des Facebook-Chats deaktiviert sich nämlich oft genug selbst.

Stream

Der Stream in Google+ funktioniert ähnlich dem in Facebook, allerdings könnt ihr euch den Stream, wie oben beschrieben, nach Circles getrennt anzeigen lassen. So übersieht man keine Meldungen der Familie oder engsten Freunde mehr. Großer Nachteil der Streams derzeit ist die fehlende manuelle Sortierung. So werden die Meldungen nicht chronologisch, sondern nach Aktivität sortiert. Ab und zu praktisch, aber ein Umschalten zwischen beiden Sortierungen wäre besser.

Ein großer Kritikpunkt ist (noch) die Teilen-Funktion. Wenn ihr zum Beispiel etwas mit euren engsten Freunden teilt, so möchtet ihr in den meisten Fällen nicht, dass es andere sehen. Eure Freunde haben jedoch die Möglichkeit euren Post mit deren erweiterten Kreisen zu teilen – d.h. einer eurer Freunde teilt es mit seinen Kreisen und deren Kreise wiederum können es auch sehen. Ihr könnt über den kleinen Pfeil neben eurem Post das weitere Teilen unterbinden, aber manchmal denkt man einfach nicht daran. Bis Google das Problem behebt, ist hier also Vorsicht geboten.

Photos und Videos

Google+ bindet Picasa-Alben ein (wohlgemerkt mit denselben Privacy-Einstellungen, die in Picasa festgelegt wurden), man kann aber auch in Google+ Alben anlegen und deren Öffentlichkeit bestimmen. Die Galeriefunktion ist mehr als gelungen, wo immer man ein Foto anklickt, öffnet sich ein schwarz-transparentes Layer mit dem Bild und der Möglichkeit, dieses direkt zu kommentieren. Mich stört nur, dass ich Fotos nicht sortieren kann und Albentitel noch nicht umbenannt werden können.Bei den Videos verfährt Google+ genauso, sie werden seltsamerweise bei den Fotos mitangezeigt. Gerade bei den Videos hätte ich mir eine YouTube-Integration gewünscht, aber das kann ja noch kommen.

Ein nettes Plus ist der Instant Upload. In der mobilen App (zurzeit leider nur für Android, an den anderen OS wird mit Hochdruck gearbeitet). setzt man ein Häkchen und alle danach aufgenommenen Fotos und Videos werden zu Google+ hochgeladen.

Die Zukunft der Social Networks und die Rolle von Google+

Google+ hat eine gute Chance sich nicht nur zu etablieren, sondern könnte es sogar schaffen, dass andere Netzwerke auf der Strecke bleiben. Natürlich gibt es bis dahin noch viel zu verbessern, aber man muss auch bedenken, dass Google+ sich noch im Betastadium befindet und dafür schon erstaunlich ausgereift ist.

Facebook…

…dürfte sich sowieso schon in Googles Visier befinden – spätestens die Gerüchte über Games und Unternehmensseiten belegen dies. Ich kann nur hoffen, dass sich Google bei den Games etwas einfallen lässt, damit nicht-spielende Nutzer die ganzen Statusupdates und Anfragen der Spiele dauerhaft ausblenden können oder gar nicht erst angezeigt bekommen. Ich weiß, dass der Erfolg der Spiele zum großen Teil auf dieser “Werbung” beruht, eine Plage ist es dennoch. Im Gegensatz dazu bin ich auf die Umsetzung der Unternehmsseiten mehr als gespannt, besonders im Hinblick auf SEO könnte Google dadurch viele Unternehmen auf die Plattform locken, schließlich dürften die Googlesuche und Google+ Hand in Hand gehen.

Twitter…

wird sich auch warm anziehen dürfen. In Google+ ist es nämlich möglich, anderen einfach zu folgen, ohne dass diese eine Anfrage bestätigen oder einen Circle festlegen müssen. Als “Follower” bekommt man dann die öffentlichen Statusupdates zu sehen, genau wie in Twitter. Der große Vorteil ist, dass es keine Begrenzung auf 140 Zeichen gibt und sich Medien direkt einbinden lassen und man somit nicht auf Third-Party Apps angewiesen. Google+ ist durch das ganze Google-Universum bereits bestens angebunden. Nicht mehr mehrere Netzwerke versorgen zu müssen, z.B. Facebook und Twitter, ist für die Nutzer ebenso attraktiv.

RSS

Schon lange wird RSS für tot befunden – für mich im Moment noch nicht nachvollziehbar – Sparks könnte ihm endgültig den Todesstoß versetzen; sofern Google detailliertere Filter und Einstellmöglichkeiten bereitstellt.

Alles unter einem Dach: Gefährlich?

Die Bequemlichkeit nur ein Netzwerk zu nutzen und alle Daten bei einem Anbieter zu haben, birgt selbstverständlich Risiken. Gerade Google ist als Datenkrake verschrien und könnte mit den persönlichen Daten des Social Web ein derart komplettes Profil einer Person erstellen, dass manch andere Unternehmen blass vor Neid würden. Aber ganz im Ernst: Sind andere Anbieter vertrauenswürdiger? Facebook, ich gucke in deine Richtung! Letztendlich hat sich schon so gut wie jeder Betreiber eines Netzwerks nicht korrekt verhalten: Facebook bei der Privatssphäre, Twitter und die amerikanischen Behörden, Google und die WLANs. Als Nutzer muss man nun abwägen, welche und wieviele Daten man im Internet hinterlässt und sollte sich auch im Klaren sein, dass andere mitlesen könnten oder keine ehrbaren Absichten haben.

Google lebt von seinen Werbeeinnahmen, nur dadurch können sie so viele Produkte kostenlos anbieten. Im Umkehrschluss werden die Daten der Nutzer verwendet, wohl nicht um sie zu verkaufen – wie viele marktschreierisch verbreiten – sondern zur Anpassung der Werbeeinblendungen. Der ganze Ablauf ist automatisiert; ich glaube kaum, dass Google Mitarbeiter zum Lesen von E-Mails oder Posts übrig hat, die dann händisch die passende Werbung einblenden. ;)

Tipps, Tricks und Invites

  • In Google+ wurden bereits Tastenkürzel umgesetzt, ein “Cheatsheet” findet ihr hier.
  • Fotos und Videos können einfach per Drag and Drop in ein Statusupdate geladen werden.
  • Fotos bis 2048×2048 Pixel und Videos bis 15 min. Länge werden nicht dem kostenlosen Storage angerechnet.

Ich hoffe, euch hat die doch etwas längere Vorstellung von Google+ gefallen. Ob die Invites zurzeit funktioneren, weiß ich leider nicht. Wer möchte, kann aber gerne einen Kommentar hinterlassen und ich schicke euch eine Einladung. Falls ihr selbst schon bei Google+ seid, findet ihr mein Profil hier.